by Wolf-Günter Thiel



Heute spricht jeder über Ökonomie. Als Wirtschaft oder Ökonomie wird die Gesamtheit aller Einrichtungen, wie Unternehmen, private und öffentliche Haushalte, und Handlungen verstanden, die der planvollen Deckung des menschlichen Bedarfs dienen.

Hierzu zählen insbesondere die Herstellung, der Verbrauch, der Umlauf und die Verteilung von Gütern. Alles wird heute ökonomisch angesehen und danach bewertet, ob es profitabel ist. Mit Zunahme der globalen Veränderungen des Klimas und der Ausbeutung natürlicher Ressourcen ist neben die Ökonomie der Begriff der Ökologie getreten. Ökologie, die aber nur dann erfolgreich etabliert und vermarktet und umgreifend eingeführt werden kann, wenn sie sich nach ökonomischen Gesichtspunkten planen und auswerten lässt. Ökologie wird zur Triebfeder der aktuellen Ökonomie.

Wirtschaftlicher Erfolg ist entgegen der landläufigen Meinung in der Volkswirtschaft kein nur positiv besetzter Begriff. Wenn wir dies bedenken, merken wir, das wir mit dem volks- oder betriebswirtschaftlichen Denken einem neutralen, nicht an ethische oder moralische Werte gebundenen Verständnissystem verpflichtet sind. Es ist vergleichbar mit dem Rechtsverständnis, das sich ganz von subjektiver oder persönlicher Moral und Ethik verabschiedet hat.

Es ist nur noch dem Gesetzbuch verpflichtet. Es ist das objektive Recht, das uns verpflichtet. Als solches besteht es aus der Gesamtheit der Normen, die nach ihrem Geltungsbereich in Rechtssysteme und das global geltende Völkerrecht eingeteilt sind. Aus den Normen des objektiven Rechts ergibt sich für die Normadressaten im Einzelfall eine Berechtigung (subjektives Recht), wie etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG), das Eigentumsrecht, ein Anspruch (zum Beispiel eines Verkäufers auf den Kaufpreis) oder das Recht, von einem Vertrag zurückzutreten.

Im Gegensatz zu Moral und Sitte sieht das Recht – vor allem das Strafrecht –  staatliche Sanktionen für den Fall vor, dass Verhaltensregeln nicht eingehalten werden. Je nach Gesellschaftsordnung und politischer Auffassung überschneiden sich Recht, Moral und Ethik unterschiedlich stark. Jedenfalls ist nicht das subjektive Recht gültig, nicht meiner Meinung nach wird geurteilt, sondern der Meinung auf der Basis der objektiven Rechtsnormen entsprechend. Moral, Ethik oder Menschlichkeit sind keine rechtlichen Kategorien, geurteilt wird auf der Basis von Gesetzesnormen und die orientieren sich am kategorischen Imperativ.
 
Was aber bedeutet dies im Ansatz. Die Ökonomie ist wie der wirtschaftliche Erfolg erst einmal ein neutraler Begriff. Die Krise wie die Hausse eines Unternehmens bedeuten definitorisch dessen Erfolg. Erfolg ist ein neutraler Begriff, genauso wie Ökonomie ein neutraler Begriff geworden ist. Man muss den Begriff im Grundverständnis heute von jeder Ethik oder Moral oder Sozialen Idee losgelöst verstehen, sonst kann man ihn auf das kapitalistische Weltgeschehen nicht mehr anwenden.

Es ist der Sieg des Rechtssystems über das moralische oder ethische Prinzip. Was erlaubt ist, ist erlaubt, solange es den wirtschaftlichen Erfolg im positiven Sinne garantiert. Steuern sind ein notwendiges Übel und nicht eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit oder Errungenschaft. Jeder zahlt so wenig Steuern wie möglich und nicht wie es das Gesetz eigentlich vorsähe, sondern wie es das Gesetz gerade noch legal ermöglicht. Diese ständige Grenzwertigkeit wird ausgetestet und bestimmt das wirtschaftliche Handeln.
 
Es werden selbstverständlich Waffen in Krisengebiete geliefert, nur nicht direkt, sondern über Umwege. Selbstverständlich wird ein zunehmend großer Teil des Welthandels mit und über die Volksrepublik China abgewickelt, unabhängig vom individuellen Rechts- und Freiheitsstatus des Einzelnen. Der Iran ist ein traditionell wichtiger Handelspartner, wenn es um Öl geht, egal ob mit dem Schah oder mit den Mudschahedin. Was zählt sind die Sicherung von Arbeitsplätzen und das Wirtschaftswachstum im Inland, so die bigotte Legitimation der wirtschaftlichen Grenzgänger. Im Moment der Finanzkrise mutieren vieler dieser Grenzgänger, opportunistisch zum Moralapostel nur um im nächsten Moment wieder wie selbstverständlich neue Grenzen anzutesten.
 
Diese alltägliche wirtschaftliche Grenzwertigkeit macht Kristian von Hornsleth seit einigen Jahren zum Thema seiner Arbeit. Er zeigt, indem er sein wirtschaftliches Handeln bewusst offensichtlich jenseits von Moral und Ethik an die Grenzen des wirtschaftlichen Handelns führt, die Schwächen des wirtschaftlichen Systems im Sinne seiner postulierten bigotten bürgerlichen Moral- und Ethikvorstellungen.

Selbstverständlich ist man dagegen, das die eigenen Kinder mit Plastikwaffen spielen, aber im Aktiendepot merkt es ja keiner, wenn die Aktien der Waffenindustrie kräftige Dividenden einspielen. Natürlich trennt man den Müll und spart Energie, hat aber selbstverständlich Aktien der großen Energieversorger im Depot. Das ganze ist so absurd, das man als Aktionär des eigenen Unternehmens selbstverständlich im Sinne seines Shareholder- Value argumentieren sollte, obwohl, das vielleicht den Verlust des eigenen Arbeitsplatzes bedeutet.

Jedenfalls legt Kristian von Hornsleth einen Investmentfonds an, in den er auf der Basis seiner eigenen emittierten Zertifikate, die selbstverständlich auch als Kunstwerk ihren Basiswert behaupten, Aktien, bewusst nur solcher Unternehmen kauft, die jede Art von bürgerlicher Moral oder Ethikverständnis negieren und Geld mit Waffen, Atomenergie oder anderen die Zivilisation langfristig bedrohenden Transaktionen verdienen. Die, die am Hunger der Menschen verdienen, die die Waffen in Kriegsgebiete liefern, die die Regenwälder abholzen und die der menschlichen Gesundheit erheblich schaden und damit ihr Geld verdienen wie die Zigarettenindustrie. Indem der Künstler dieses Prinzip frontal, moralisch-ethisch fragwürdig and die Grenzen des Möglichen, im Rahmen der objektiven Rechtsnormen führt, führt er den latenten Widerspruch zwischen ökonomischem und ethischem Prinzip vor Augen.
 
Das Hornsleth Village Projekt ist ähnlich grenzwertig ausgelegt. Der Künstler kaufte allen Bewohnern eines Dorfes in Uganda den Namen ab. Kaufpreis waren Tiere, mit denen sich der soziale und wirtschaftliche Status des Einzelnen heben lassen sollte. Hier ging es um ein Modell einer modernen Sklaverei, die legal vom Innenministerium Ugandas abgesegnet wurde.

Das Projekt führte zu einer jahrelangen Debatte zum Thema Entwicklungshilfe und machte den Missstand gängiger Entwicklungshilfevorstellungen deutlich: Das Geld der Entwicklungshelfer kam nicht dem Einzelnen zu Gute, sondern wurde von den administrativen Zwischenstufen fast gänzlich geschluckt.

Das Projekt führet auf der Basis einer öffentlich hitzig geführten Diskussion dazu, das Modell der Paten und der Tiere im groß angelegten Feldversuch nachzuahmen und auf die Erfahrungen des Künstlers zurückzugreifen. So kritisch die Idee moralisch und ethisch bewertet wurde, so nachhaltig wurden Wahrheiten und Defizite heutiger Entwicklungshilfeprojekte aufgedeckt. Das Ergebnis war also eine positive Entwicklung für den Einzelnen in einzelnen Ländern Afrikas. Die Diskussion jedoch wurde hitzig und aufgewühlt geführt und der Künstler als neokolonialistischer Kapitalist verschrien. Was der Künstler jedoch aufzeigte ist ein Missstand, der in Afrika jeden Tag im Geheimen von Unternehmen durchgeführt werden kann und wahrscheinlich in abgewandelter Form auch durchgeführt wird.
 
Das der Kristian von Hornsleth jedoch nicht nur Kritik an der heutigen Ökonomievorstellung formuliert, macht sein neues „Deep Storage Project“ deutlich.  Im Dezember 2009 wird eine gigantische Skulptur aus Metall (5 x 5 x 5 Meter) in dem 11.000 Meter tiefen Marianer Graben zwischen Japan und den Philippines versenkt. Diese Skulptur versteht sich als Mahnmal für den Humanismus und ist für die Ewigkeit konzipiert. Die Skulptur wird 5000 Blutproben von Menschen aus 20 verschiedenen Städten der verschiedensten Länder, Ethnien und Kulturen konservieren.

Das einzig verbindende Element ist der Glauben an das Projekt und an den Künstler Kristian von Hornsleth. Der Künstler thematisiert eine religiösen Grundfrage nach dem ewigen Leben und der möglichen Auferstehung durch die zukünftige Reproduktionsmedizin, die auf der Basis der DNA –Probe einen neuen Menschen generieren können könnte. Diese faszinierende Idee, verbunden mit dem Erlebnis Bestandteil eines großen, bedeutenden Kunstprojektes zu sein, motiviert 5000 Menschen sich an einem Projekt zu beteiligen, das in der Zukunft stattfinden wird.
 
Diese Fragen werden gemeinhin von den Weltreligionen beantwortet und in eine abstrakte existentielle, völlig unbekannte Zukunft verschoben auch wenn die Heilsversprechen unterschiedliche Vorstellungen vom Paradies versprechen. Hornsleth verspricht kein Paradies, sondern die Teilhabe an der Zukunft dieser Welt und das Erlebnis zukünftiger menschlicher Existenz. Ob dies eine bessere Welt sein wird oder eine völlig ausgebeutete öde Welt sein wird, überlässt er den Vorstellungen des Blutspenders. Die meisten gehen jedoch selbstverständlich von einer besseren Welt aus und spekulieren auf ein Leben in der Zukunft, das sie wie selbstverständlich an die Vision eines Künstlers knüpfen.
 
Der Künstler sucht für die Aufbewahrung nicht nur eine sternartige Monumentalskulptur aus, sondern auch einen der tiefsten Orte innerhalb des Pazifiks. Dieser Ort ist bisher weitestgehend von menschlicher Zivilisation verschont geblieben. Ein Ort, der dem normalen Menschen völlig unzugänglich ist und selbst an Spezial-U-Boote besondere Ansprüche stellt. Es ist die Stiftung eines modernen Mythos.
 
Von Sigmund Freud ging die Vorstellung aus, dass Mythen als Projektionen menschlicher Probleme und Erfahrungen auf übermenschliche Wesen deutbar seien. Oft wird im Mythos das Handeln und Wirken von Göttern in Anlehnung an menschliche Verhältnisse dargestellt.

Genau diese Rolle übernimmt der Künstler und führt hiermit eine Fundamentalkritik am zeitgenössischen Religionsverständnis. Genau diese Konfrontation des Blutspenders mit einer Teilhabe an etwas das wir mit Ewigkeit bezeichnen, zeichnet den Übermenschen wie ihn Nietzsche begreift aus. Das diese Blutspender bei dieser Aktion teilnehmen, zeigt, das zu mindestens optional auf eine solche Tragweite des Projektes spekuliert wird.

Der moderne Begriff des Mythos dient oft dazu, trotz zunehmendem Pluralismus etwas Allgemeinmenschliches und Allgemeingültiges zu suchen und zu behaupten. Es ist der den monotheistischen inhärente Wunsch nach ewigem Leben.  Mythen als tradierte Erzählungen berichten darüber, wie die Gegenwart in der Vergangenheit begründet ist, schildern etwa die Entstehung der Götter, der Menschen, des Kosmos oder endzeitliches und jenseitiges Geschehen. Hier nimmt der Künstler die Gegenwart und schafft etwas für eine ferne, abstrakte Zukunft. In dieser Zukunft mag der heutige künstlerische Akt einen mystischer Schöpfungsakt bedeuten und der Künstler als Creator, Übermensch oder Gott gelten.
 
Hans Blumenberg rehabilitierte den Mythos im 20. Jahrhundert. Für ihn sprechen sich im Mythos existenzielle Grunderfahrungen aus, die den Menschen überlasten. Das „Narrativ“ des Mythos lehre einen Umgang mit diesen Situationen und stelle somit eine „Entlastungsfunktion“ für den Menschen dar.  Genau dies bedeutet der Akt der Blutabgabe für den Einzeln: Die Spekulation auf die Teilhabe an einer besseren, friedvollen und harmonischen Zukunft. Das diese Vorstellung in den unterschiedlichen Kulturen und von unterschiedlich Ethnien gleichermaßen angenommen wird, spricht für die archetypische Qualität dieses schöpferischen Aktes.


Wolf-Günter Thiel, Kunsthistoriker und Herausgeber von Fair Arts Magazine, Berlin